Gerade in Fällen sexueller Nötigung (§ 177 I StGB), Vergewaltigung (§ 177 II StGB) oder anderen Fällen sexuellen Missbrauchs (z.B: sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 StGB) kommt es immer wieder zu sogenannten „Aussage gegen Aussage Konstellationen“, weil häufig nicht mehr Personen als das vermeintliche Tatopfer und der vermeintliche Täter bei dem vermeintlichen Tatgeschehen anwesend waren.

Wiederholt hat der BGH darauf hingewiesen, dass in solcherart gelagerten Fällen alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in die Entscheidung des Taggerichts einzubeziehen sind und eine umfassende Gesamtwürdigung aller Indizien vorzunehmen ist.

So auch in diesem Fall:

Das Landgericht Göttingen verurteilte den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten. Seine hiergegen gerichtete Revision hatte mit der Sachrüge Erfolg (BGH, Beschluss vom 6. 7. 2010 – 5 StR 194/10 (LG Göttingen)).

Folgendes hatte sich zugetragen:

„Nach den die Feststellungen tragenden Bekundungen der Nebenklägerin wurde das ohnehin eher ungewöhnliche Vergewaltigungsgeschehen noch weiter dadurch verkompliziert, dass der Mischlingshund der Ehefrau des Angeklagte, die zugleich Lebensgefährtin der Nebenklägerin war, nach dem Angeklagten schnappte, von diesem jedoch „weggetreten” wurde. Dies geschah, während der zur Tatzeit knapp 56 Jahre alte, wegen Rückenbeschwerden berentete und erheblich alkoholisierte Angeklagte (BAK: maximal 1,77‰) den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr an der Nebenklägerin vollzog, wobei er diese zugleich auf die Tischplatte niederdrückte und sich ihrer Tritte zu erwehren hatte“ (BGH, Beschluss vom 6. 7. 2010 – 5 StR 194/10).

Auf Grundlage dieser Darstellung verurteilte das Landgericht Göttingen den Angeklagten. Die Beweiswürdigung hielt rechtlicher Überprüfung nicht stand:

„Sie wird den besonderen Anforderungen nicht gerecht, die in der gegebenen Konstellation „Aussage gegen Aussage” zu stellen sind (…) und die es gebieten, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegung einzubeziehen und eine umfassende Gesamtwürdigung aller Indizien vorzunehmen hat (…).Unter solchen Vorzeichen hätte sich das Urteil nicht auf eine eher bruchstückhafte Darstellung beschränken dürfen. Vielmehr waren eine Mitteilung der näheren Einzelheiten (u.a. Größe und Alter des Hundes; Art, Dauer und Begleitumstände der „Bissattacken”) und deren Würdigung im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen unerlässlich.

Der Senat weist in diesem Zusammenhang noch darauf hin, dass die Nebenklägerin – was ihm aus einer zulässigen Verfahrensrüge bekannt ist – das markante Detail der „Hundeattacke” erst in der Hauptverhandlung, nicht aber in den vorausgegangenen beiden polizeilichen Vernehmungen mitgeteilt hat. Im Rahmen der durch die Strafkammer vorgenommenen Konstanzanalyse hätte sich das Urteil mit diesem das Kerngeschehen betreffenden Umstand auseinandersetzen müssen.

Als ein wesentliches Indiz für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin werten es die Urteilsgründe, dass sich die Stimmung der Nebenklägerin am Tatmorgen wesentlich geändert hatte (bedrückt, schweigsam, appetitlos). „Ein einverständlicher Geschlechtsverkehr” lasse „sich mit einem derartigen Verhalten nicht erklären”. Hiergegen bestehen durchgreifende Bedenken. Denn Grund für das veränderte Verhalten konnten die Reue über einen – möglicherweise aufgrund einer Alkohollaune – mit dem Ehemann ihrer Lebensgefährtin durchgeführten Geschlechtsverkehr und die Ungewissheit darüber sein, ob der Angeklagte das Vorgefallene seiner Ehefrau offenbaren werde.

Entsprechendes gilt für den von der Strafkammer als Indiz für die Richtigkeit des Vorwurfs herangezogenen Umstand, dass die Nebenklägerin nach den Vorfällen vermehrt dem Alkohol zugesprochen hat. Denn dieses Verhalten kann seine Erklärung in den nunmehr häufigen Streitigkeiten mit ihrer Lebensgefährtin finden, die letztlich zur Trennung führten“ (BGH, Beschluss vom 6. 7. 2010 – 5 StR 194/10).

Zudem weist der BGH noch auf folgendes hin:

„Auch im Rahmen der Strafzumessung angestellte Erwägungen des angefochtenen Urteils erscheinen bedenklich. So ist „ein gewisses Maß an krimineller Energie” bzw. „eine nicht völlig unbedeutende kriminelle Energie” notwendig mit dem Verbrechen der Vergewaltigung verbunden und kann deswegen nicht zur Strafschärfung führen. Dass die Tat im Hinblick auf die Anwesenheit des Zeugen S mit einem hohen Entdeckungsrisiko verbunden war, spricht zudem mehr für ein Handeln des unbestraften Angeklagten in alkoholbedingter Enthemmung als für ein erhöhtes Maß an krimineller Energie unter dem Aspekt besonderer Bedenkenlosigkeit“ (BGH, Beschluss vom 6. 7. 2010 – 5 StR 194/10).