Das Urteil des Bundeverfassungsgerichts vom 19. März 2013 zur Verfassungsmäßigkeit des Deals im Strafprozess hat bereits Auswirkung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

In der zugrundeliegenden Entscheidung hatte das Landgericht München I den Angeklagten nicht i.S.d. § 257c V StPO über die Vorrausetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis einer Verständigung belehrt bzw. eine solche Belehrung nicht in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen.

Das Landgericht München I hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit schwerem sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Die auf die Verletzung der Dokumentation der Verfahrensabsprache gerichtete Revisionsrüge des Angeklagten hatte Erfolg. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

„Dem Urteil des Landgerichts ging eine Verständigung gemäß § 257c StPO voraus. Darin sicherte das Landgericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und neun Monaten zu. Eine Belehrung im Sinne des § 257C Absatz 5 StPO wurde dem Angeklagten nicht erteilt. Im Hinblick auf die getroffene Verfahrensabsprache räumte der Angeklagte die ihm – nach Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Absatz 2 StPO noch – zur Last liegenden Tatvorwürfe vollumfänglich ein. Das Landgericht erachtete das Geständnis des Angeklagten insbesondere deshalb für glaubhaft, weil es sich mit den Angaben des Tatopfers, eines Kindes, die dieses im Ermittlungsverfahren und anlässlich einer richterlichen Videovernehmung gemacht hatte, im Kernbereich deckte (UA S. 13). Die Strafkammer hielt sich an die Verständigung und verhängte gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.
(…) Mit seiner Revision macht der Angeklagte nun geltend, ihm sei zu Unrecht vor der Verständigung keine Belehrung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis der Verständigung nach § 257c Absatz 4 StPO erteilt worden. Dies habe Auswirkungen auf sein Prozessverhalten gehabt. Wäre er gemäß § 257c Absatz 5 StPO belehrt worden, hätte er „in anderer Weise“ (als durch ein Geständnis) auf die Beweisaufnahme eingewirkt und eventuell weitere Beweisanträge gestellt“ (BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – 1 StR 563/12).

Diese Rechtsauffassung teilt der BGH:

„Der vom Angeklagten geltend gemachte Rechtsfehler liegt vor. Die Belehrung gemäß § 257c Absatz 5 StPO ist eine wesentliche Förmlichkeit, die in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen gewesen wäre (vgl. § § 273 Absatz 1a Satz 2 StPO). Da es hieran fehlt, ergibt sich im Hinblick auf die negative Beweiskraft des Protokolls (§ 274 Satz 1 StPO), dass der Angeklagte nicht gemäß § 257c Absatz 5 StPO darüber belehrt wurde, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von dem in Aussicht gestellten Ergebnis abweichen kann. Der Angeklagte wurde daher vom Gericht nicht in die Lage versetzt, eine autonome Entscheidung über seine Mitwirkung an der Verständigung zu treffen (…).“
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf der Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Absatz 5 StPO ausgeschlossen werden kann (…), liegen nicht vor. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem nicht vorbestraften Angeklagten auch ohne entsprechende Belehrung durch das Gericht – etwa aus anderen Strafverfahren oder Gesprächen mit seinem Verteidiger – bekannt gewesen sein könnte, wann die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt.
(…) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 257c Absatz 5 StPO hier in der Weise ursächlich auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt hat, dass er kein Geständnis abgelegt und sich vielmehr gegen den Tatvorwurf verteidigt hätte, wenn er ordnungsgemäß belehrt worden wäre. Solches liegt zwar im Hinblick auf die Beweislage bei Anklageerhebung nicht nahe, ist aber angesichts des Umstandes, dass ohne das Geständnis des Angeklagten letztlich im Wesentlichen die Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Kindes zu den Vorwürfen an ihm begangener Taten (schweren) sexuellen Missbrauchs gemäß § 176, § 176a StGB für den Tatnachweis ausschlaggebend sein könnte, auch nicht lediglich eine entfernte Möglichkeit. Insoweit in Betracht kommende Beweisanträge liegen auf der Hand. Der Umstand, dass die Bindung des Gerichts an die Verständigung hier nicht gemäß § 257c Absatz 4 StPO entfallen ist und das Landgericht die zugesagte Strafobergrenze eingehalten hat, schließt das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß nicht aus (…)“ ((BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – 1 StR 563/12)).

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