Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich auf eine Revision gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Aachen mit den Anforderungen auseinandergesetzt, die für eine revisionsfeste Urteilbegründung erfüllt sein müssen, in dem Fall, in dem die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Mittäters abhängt, der sich dazu womöglich durch unrichtige Angaben Vorteile i.S. einer „Aufklärungshilfe” verschaffen wollte (BGH, Beschluss vom 22. 9. 2011 – 2 StR 263/11 (LG Aachen)).

Folgendes hatte sich zugetragen:

„Nach den Feststellungen bewohnte der Angeklagte im Jahr 2004 zusammen mit seiner mitangeklagten Ehefrau eine Wohnung im Anwesen X-straße 20 in A-S, in dem sich auch eine von der Ehefrau betriebene Gaststätte befand. Eine weitere Wohnung war an den Zeugen U vermietet, stand aber leer und wurde vom Angeklagten zu Abstellzwecken genutzt. In dieser Wohnung errichtete der Angeklagte zusammen mit dem gesondert verfolgten Zeugen C sowie 3 niederländischen Staatsangehörigen im Sommer 2004 eine Cannabis-Plantage, in die im September 2004 ca. 500 Setzlinge eingebracht wurden. Während der Zeuge C beim Aufbau der Plantage mitwirkte, indem er erforderliche Elektroarbeiten durchführte, beteiligte sich der Angeklagte an der Aufzucht der Pflanzen und am Betrieb der Plantage. Das abgeerntete Marihuana in der Größenordnung von 5 Kilogramm wurde sodann von den niederländischen Tatbeteiligten übernommen und verkauft. Entgegen der ursprünglichen Absprache erhielt der Angeklagte aus dem Verkaufserlös keinen Anteil, weil dieser mit getätigten Investitionskosten für den Aufbau und die Bepflanzung der Plantage verrechnet wurde (Fall 1).

Entweder im Spätjahr 2004 oder im Verlauf des Jahres 2005 wurden erneut etwa 500 Cannabis-Pflanzen in die Anlage eingebracht, wobei sich neben den drei Niederländern wiederum der Angeklagte als Mitbetreiber der Anlage an der Aufzucht der Pflanzen beteiligte, während man dem Zeugen C den Zugang zur Plantage nunmehr verweigerte. Das nach Abernten der Anlage gewonnene Marihuana wurde in der Folgezeit von den niederländischen Mittätern verkauft; wie hoch der auf den Angeklagten entfallene Gewinnanteil war, konnte das LG nicht aufklären (Fall 2).

(…) In 6 weiteren Fällen (Fälle 3 bis 8 der Anklage), in denen der Angeklagte zusammen mit anderen Personen auch am Betrieb einer weiteren, in einem anderen Gebäude betriebenen Cannabis-Plantage beteiligt gewesen sein soll, hat ihn das LG freigesprochen.

(…) Der Angeklagte hat sich ebenso wie die frühere Mitangeklagte in der Hauptverhandlung nicht zu den Tatvorwürfen eingelassen. Die Strafkammer hat die Verurteilung in erster Linie auf die Bekundungen gestützt, die die Zeugen Ei und R zu den Angaben gemacht haben, die der Zeuge C im Ermittlungsverfahren im Rahmen zweier Beschuldigtenvernehmungen getätigt hat. In der Hauptverhandlung hat der Zeuge C von seinem Aussageverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch gemacht“ (BGH, Beschluss vom 22. 9. 2011 – 2 StR 263/11 (LG Aachen)).

Nach Auffassung des BGH hält die Beweiswürdigung der Kammer revisionsrechtlicher Überprüfung aus den folgend Gründen nicht stand.

„Hängt – wie hier – die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Mittäters ab, so muss der Tatrichter die für die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, würdigen und dies im Urteil deutlich machen (…). Dabei sind im Hinblick auf Artikel 6 Absatz III MRK erhöhte Anforderungen an die Sorgfältigkeit und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu stellen, wenn die belastenden Angaben – wie hier – nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (…).

(…) Diesen Anforderungen werden die beweiswürdigenden Ausführungen der Kammer nicht gerecht.

(…) So ist den Urteilsgründen bereits nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen sich die Tatvorwürfe in den Fällen 3 bis 8, die sich nach der Anklage ebenfalls auf die Angaben des Zeugen C im Ermittlungsverfahren gestützt hatten, in der Hauptverhandlung nicht bestätigt haben. Da sich die Urteilsgründe insbesondere zu einer möglichen Falschbelastung durch den Zeugen in diesem Tatkomplex nicht verhalten, kann der Senat nicht prüfen, ob die Anforderungen, die der BGH an die umfassende Würdigung belastender Zeugenaussagen in solchen Konstellationen aufgestellt hat (…) hinreichend Beachtung gefunden haben.

(…) Ferner hätte sich das LG auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sich der Zeuge C in dem gegen ihn geführten Strafverfahren möglicherweise durch unrichtige Angaben Vorteile i.S. einer „Aufklärungshilfe” verschaffen wollte (…). Denn für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung gerade bei Aussagen im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts ist es ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob sich der Zeuge durch seine Aussage in dem gegen ihn gerichteten Verfahren im Hinblick auf § BTMG § 31 BtMG Vorteile verspricht und vor diesem Hintergrund einen Nichtgeständigen möglicherweise zu Unrecht belastet (…). Die Möglichkeit einer bewussten Falschbelastung wird im Übrigen durch den von der Kammer herausgehobenen Umstand nicht entscheidend gemindert, der Zeuge habe sich durch seine Angaben auch selbst belastet. Denn den insoweit knappen Ausführungen der Strafkammer lässt sich schon nicht entnehmen, ob der Zeuge im Hinblick auf vorhandene Sachbeweise überhaupt damit rechnen konnte, den Verdacht jeglicher Tatbeteiligung von sich abzulenken (…). Hinzu kommt, dass der Zeuge im Fall 1 einen eher untergeordneten eigenen Tatbeitrag (Ausführung von Elektroinstallationsarbeiten) eingeräumt und im Fall 2 eine eigene Tatbeteiligung generell in Abrede gestellt hat BGH, Beschluss vom 22. 9. 2011 – 2 StR 263/11 (LG Aachen)).

Die Sache bedurfte deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.

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