Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat eine (interessante) Entscheidung zu der Frage der Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens des „Tatopfers“ beim Vorwurf der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung im Sinne des im Jahre 2017 neu gefassten § 177 Strafgesetzbuch (StGB) getroffen.

Erkennbar entgegenstehender Wille

Voraussetzung des in § 177 Abs. 1 StGB normierten „Sexuellen Übergriffs“ ist der Wille des Opfers, der einer sexuellen Handlung erkennbar entgegenstehen muss. Verlangt wird hierfür, dass das Opfer seinen

„entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich erklärt oder konkludent, wie z. B. durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung, zum Ausdruck bringt.“

BGH NStZ 2019, 717.

Ob das Opfer seine Ablehnung hinreichend klar geäußert hat, soll aus der Sicht eines „objektiven Dritten“ beurteilt werden.

Feststellungen des Landgerichts Bad Kreuznach

Das Landgericht Bad Kreuznach, dessen Urteil die Revision angefochten hatte, hat folgenden Feststellungen zu dem Sachverhalt getroffen:

Ohne vorherige Absprache oder Einladung folgten die Angeklagten der Nebenklägerin auf ihre Stube. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatten die Angeklagten den gemeinsamen Plan gefasst, mit der Nebenklägerin einen ‚Dreier‘ durchzuführen. Auf Klopfen öffnete sie die Tür und fragte überrascht, was die Angeklagten hier machten und dass sie schlafen wolle. Die Angeklagten betraten sodann die Stube und verwickelten die Nebenklägerin in ein Gespräch. Obwohl sie die Angeklagten mehrfach zum Gehen aufforderte, begannen diese, sich auszuziehen. Sodann zog der Angeklagte M. der Nebenklägerin die Hose herunter, schlug ihr auf den nackten Po und sagte zu dem Angeklagten K., den müsse er sich mal anschauen. Daraufhin zog die Nebenklägerin ihre Hose wieder hoch und sagte den Angeklagten erneut, darauf keine Lust zu haben, und forderte sie abermals zum Gehen auf. Auch diese Aufforderung wurde von den Angeklagten ignoriert. Nachdem die Nebenklägerin ihre Hose wieder hochgezogen hatte, näherte sich ihr der Angeklagte K., führte seine Hand an ihren Intimbereich, manipulierte hieran und biss ihr dabei absichtlich in den Hals. Nachdem sie sich aus seinem Griff befreit und beiden Angeklagten erneut mitgeteilt hatte, keinen Geschlechtsverkehr mit ihnen zu wollen, wurde sie von den Angeklagten entkleidet und so in Position gebracht, dass sie auf dem Bett kniete und sich auf den Händen abstützte. Im Anschluss führte zunächst der Angeklagte K. von hinten ungeschützten Vaginalverkehr bei ihr aus, während der Angeklagte M. Oralverkehr durchführte.

Im weiteren Verlauf tauschten die Angeklagten die Positionen, wobei jeweils der den Oralverkehr ausführende Angeklagte den Kopf der Nebenklägerin unter Kraftanwendung vor- und zurückführte. Zudem wurde die von den Angeklagten leicht gewürgt und ihr Kopf in ein Kissen gedrückt, jedoch ohne dabei Atemnot zu verspüren. Während des Oralverkehrs durch den Angeklagten M. sagte dieser zum Angeklagten K., ‚jetzt fick die doch‘, woraufhin die Nebenklägerin aufsprang, da sie sich durch die Äußerung des M. besonders gedemütigt fühlte. Der Angeklagte K. zog die Nebenklägerin, die Tränen in den Augen hatte, zu sich und sagte, sie solle sich beruhigen, M. habe das nicht so gemeint. Die Nebenklägerin entgegnete, sie wolle trotzdem nicht, und sie wolle auch nicht, dass man so mit ihr spreche. Auch diese Aufforderung zu gehen, ignorierten die Angeklagten und vollzogen nach der Unterbrechung den Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Nebenklägerin, bis zuerst der Angeklagte K. und danach der Angeklagte M. beim weiterhin ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr zum Samenerguss gelangten.

Das Landgericht Bad Kreuznach verurteilte die Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangener Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren.

Die Revision gegen das Urteil

In der Revision des Angeklagten M. wurde diesbezüglich u.a. zu bedenken gegeben, dass das Landgericht bei der Bewertung dieses Sachverhalts als erkennbar gegen den Willen ausgeführten Sexualverkehr aus dem Blick geraten ist, dass die Nebenklägerin sich ambivalent verhalten hat. Da die zuvor erklärte ausdrückliche Ablehnung durch die entgegenstehende Handlung der Nebenklägerin entkräftet worden sein kann, kommt es darauf an, ob sich der entgegenstehende Wille in konkludenter Weise hinreichend deutlich aus den Gesamtumständen ergab und dadurch von den Angeklagten erkannt werden konnte. Als mögliche entlastende Aspekte vernachlässigt die Kammer in ihrer Bewertung zum Vorstellungsbild der Angeklagten, dass die Nebenklägerin (offenbar) selbst die sexuelle Handlung ausführte bzw. sich hieran beteiligte, mithin nach außen erkennbar eine Abkehr von ihrer früheren Haltung vollzogen haben kann. Anders ist die von der Kammer beschriebene Situation,

„…wurde sie von den Angeklagten entkleidet und so in Position gebracht, dass sie auf dem Bett kniete und sich auf den Händen abstützte. Im Anschluss führte zunächst der Angeklagte K. von hinten ungeschützten Vaginalverkehr bei ihr aus, während der Angeklagte M. Oralverkehr durchführte…“

nicht vorstellbar.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs

Dies hat indes den 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nicht bekümmert. Zum Vorstellungsbild der Angeklagten heißt es dort:

„Zwar verhält sich die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht explizit zu der Feststellung, dass die Angeklagten den erkennbaren entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin tatsächlich erkannten und sich über die von ihnen wahrgenommene und zutreffend erfasste Ablehnung sexueller Handlungen bewusst hinwegsetzten. Das Fehlen ausdrücklicher Erörterungen zur inneren Tatseite stellt vorliegend aber entgegen der Auffassung der Revisionsführer und des Generalbundesanwalts keine relevante Lücke in der Beweiswürdigung dar. Angesichts der mehrfach in unterschiedlichen Stadien der Tat deutlich geäußerten Ablehnung sexueller Handlungen durch die Nebenklägerin, der von den Angeklagten zielgerichtet angewandten Gewalt und des Umstandes, dass sie zwar vor der Tat Alkohol getrunken hatten, indes nicht in einem ihre Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigenden Umfang, bedurfte der damit offensichtlich vorliegende Tatvorsatz der Angeklagten keiner ausdrücklichen Erörterung in den Urteilsgründen. Er ist durch die Beweiswürdigung im Übrigen hinreichend belegt. Dies gilt auch deshalb, weil sich die Nebenklägerin – entgegen dem Revisionsvorbringen und dem Urteilsverständnis des Generalbundesanwalts – nach den Feststellungen an den Geschlechtsakten nicht aktiv beteiligte (…), sondern sich lediglich gegen die Aktivitäten der Angeklagten nicht zur Wehr setzte“ (BGH – 3 StR 302/21).

Kritik am Urteil des Bundesgerichtshofs

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gibt in bedenklicher Weise Auskunft darüber, dass es nichts wird, mit der Hoffnung, dass die Revisionsgerichte die sehr weit gefasste Neuregelung des § 177 StGB in Form der „Nein-heißt-Nein“-Regel restriktiv auslegen und zumindest über die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens bei dem Vorwurf einer Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung wieder etwas einhegen werden.

Voraussetzung des in § 177 Abs. 1 StGB normierten „Sexuellen Übergriffs“ ist der Wille des Opfers, der einer sexuellen Handlung erkennbar entgegenstehen muss. Verlangt wird hierfür, wie auch der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, dass das Opfer seinen „entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich erklärt oder konkludent, wie z. B. durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung, zum Ausdruck bringt.“ Ob das Opfer seine Ablehnung hinreichend klar geäußert hat, soll aus der Sicht eines „objektiven Dritten“ beurteilt werden. Der Gesetzgeber hat bei Einführung der „Nein heißt Nein“-Lösung betont, dass jeder Sexualpartner die Verantwortung für eine eindeutige Kommunikation seines Willens trägt. Dem mutmaßlichen Opfer sei es „zuzumuten, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen.“

Da die zuvor erklärte Ablehnung durch die entgegenstehende Handlung der Nebenklägerin entkräftet worden sein kann, kommt es darauf an, ob sich der entgegenstehende Wille in konkludenter Weise hinreichend deutlich aus den Gesamtumständen ergab und dadurch von den Angeklagten erkannt werden konnte. An dieser Stelle sind die Feststellungen der Kammer indes lückenhaft.

Es wird von der Kammer nicht weiter beschrieben, wie es den Angeklagten gelang, die Nebenklägerin auszuziehen und derart in Stellung auf alle viere zu positionieren, dass beide Angeklagte ohne Komplikationen den Sexualverkehr mit ihr praktizieren konnten und dabei im weiteren Verlauf sogar problemlos die Möglichkeit hatten, die Positionen zu tauschen. Auch wie häufig dieser Positionswechsel stattfand, bleibt offen. Es wird von der Kammer mithin nicht erkennbar berücksichtigt, dass sich das ambivalente Verhalten der Nebenklägerin, deren Worte nicht kongruent zu ihrer Verhaltensweise waren, auf das Vorstellungsbild der Angeklagten ausgewirkt haben könnte.

Für einen objektiven Dritten bei losgelöster Betrachtung im Tatzeitpunkt, stellt sich das Verhalten der Nebenklägerin so da, dass sie zwar kundgetan hat, „darauf keine Lust zu haben“, sich hierzu jedoch nicht kongruent verhält.

Eine vor der Tathandlung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Opfers muss jedoch so nachhaltig sein, dass sie die Kraft hat, den durch die Vornahme der sexuellen Handlung entgegenstehenden Eindruck der „Freiwilligkeit“ zu überwinden.

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