Der sexuelle Übergriff, sexuelle Nötigung sowie Vergewaltigung werden von § 177 StGB umfasst, wobei insbesondere die Tatbestandsmerkmale des ,,erkennbaren Willens“ gemäß § 177 Abs. I StGB sowie der ,,Überraschungsmoment“ gemäß § 177 Abs. II StGB in der Rechtsprechung umstrittene Begriffe sind. Grund genug, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in der jüngeren Vergangenheit wegweisende Entscheidungen getroffen hat.

In diesem Artikel wird erklärt, warum es sinnstiftend erscheint, einen Strafverteidiger, der im Idealfall als Fachanwalt für das Strafrecht qualifiziert ist, für die Bearbeitung einer Revision zu beauftragen und warum es überhaupt im Jahre 2016 zu einer Neuregelung des Straftatbestandes kam.

Die Neuregelung 2016

Das Sexualstrafrecht wurde schon häufig Gegenstand gesetzlicher Neuregelungen, zuletzt kam es 2016 im Zuge der ,,Kölner Silvesternacht“ zu abermaligen Änderungen, die insbesondere sexuelle Belästigungen und sexuelle Angriffe aus einer Gruppe heraus sanktionieren sollen, vgl. § 184 j StGB. Leitgedanke war, dass sexuelle Gewalt leichter geahndet werden kann. Die Neuregelung verzichtet ausdrücklich darauf, dass ein Opfer Widerstand leisten muss, wie es zuvor Tatbestandsvoraussetzung nach § 177 Abs. I StGB war. Dies führte insbesondere dort zu Strafbarkeitslücken, in welchem sich ein Opfer vor lauter Angst erst gar nicht zur Wehr setzen konnte. Nunmehr genügt es bereits, dass sich der Täter über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt, wie es § 177 Abs. I StGB formuliert.

Als ,,Ausgleich“ für die Erweiterung der Strafbarkeit wurde der Strafrahmen selbst herabgesetzt, die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren beginnt somit im Vergehensbereich, obgleich eine Geldstrafe ausdrücklich nicht vorgesehen ist.

Die Neuregelung lässt sich damit zusammenfassen, dass es künftig genügen muss, dass ein Opfer vorher zum Ausdruck bringt, es habe kein Interesse an sexuellen Handlungen. Weitergehende Abwehrhandlungen sind explizit nicht mehr notwendig, um den Tatbestand zu verwirklichen.

Rechtsprechung des BGH

Neuregelungen bringen eine nicht gefestigte Rechtsprechung mit sich, weswegen die Befassung des BGH mit Tatbestandsvoraussetzungen, gerade im Wege der Revision, nicht verwundert.

Mit Beschluss vom 20.02.2020 hat der BGH festgehalten, dass ein Täter dann die Unfähigkeit eines Opfers, einen entgegenstehenden Willen zu bilden, ausnutzt, wenn er es für möglich hält, dass er einen hypothetischen Konflikt aus dem Weg geht, vgl. BGH 5 StR 580/19 – Beschluss vom 20. Februar 2020. Dem Beschluss lag der Sachverhalt zugrunde, dass ein Opfer im Schlaf vom Täter angegangen wurde und hier fraglich war, ob der Täter die mangelnde Willensbildung bewusst ausnutzte. Das Ausnutzen einer Unfähigkeit, einen entgegenstehenden Willen zu bilden, ist in § 177 Abs. II Nr. 1 StGB kodifiziert.

§ 177 Abs. I StGB sowie § 177 Abs. II StGB stehen daher in einem ineinandergreifenden Verhältnis, wobei § 177 Abs. I StGB als Grundtatbestand aufzufassen ist und § 177 Abs. II StGB speziellere Situationen umfasst. § 177 Abs. 1 StGB stellt allgemein formuliert die Missachtung eines dem sexuellen Ansinnen erkennbar entgegenstehenden Willens des Opfers unter Strafe. Dieser Willensmissachtung stellt § 177 Abs. 2 StGB verschiedene Situationen gleich, in denen es für die von den sexuellen Handlungen betroffene Person nicht möglich oder zumutbar ist, einen ablehnenden Willen zu bilden oder zu äußern.

Der entgegenstehende Wille als Kernpunkt des reformierten Sexualstrafrechts meint also jedwedes Verhalten oder Ansinnen einer Person, mit dem Täter gerade keinen Beischlaf oder anderweitige sexuelle Handlungen vollziehen zu wollen.

Da der entgegenstehende Wille zunächst rein subjektiver Natur ist, hat der BGH entschieden, dass ein solcher entgegenstehender Wille des Opfers eindeutig feststellbar und belegbar sein muss, vgl. BGH 1 StR 546/18 – Beschluss vom 04.12.2018. Dies erscheint interessengerecht, sieht sich doch der potenzielle Angeschuldigte stets der Gefahr ausgesetzt, im Nachhinein einer Straftat bezichtigt zu werden. Gemeinhin erfolgen sexuelle Handlungen zwischen zwei Personen, die Objektivierbarkeit eines entgegenstehenden Willens muss daher möglich sein.

Auch die Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. VI StGB fußt nun auf dem Prinzip, dass eine Handlung gegen den erkennbaren Willen des Opfers geschieht. Auch hier rekurriert der BGH jedoch auf die Erkennbarkeit eines entgegenstehenden Willens, vgl. BGH NJW 2000, 672; BGH BeckRS 2017, 139514. Eine Verurteilung kann also nicht lediglich darauf gestützt werden, sofern nur eine Aussage des vermeintlichen Opfers vorliegt, wobei stets der Einzelfall zu betrachten ist.

Mit Urteil vom 13.02.2019 entschied der BGH, was als ,,Ausnutzen eines Überraschungsmoments“ gemäß § 177 Abs. II Nr. 3 StGB gemeint ist, vgl. BGH 2 StR 301/18 – Urteil vom 13. Februar 2019. Unter dem Tatbestandsmerkmal versteht der BGH ein Verhalten des Täters, wonach dieser die äußeren Umstände erkennt, aus denen sich ergibt, dass sich das Opfer keines sexuellen Angriffs auf seinen Körper versieht. Weitere Voraussetzung ist, dass es der Täter zumindest für möglich hält, dass durch das unvorhergesehene Verhalten des Täters die sexuelle Handlung ermöglicht oder zumindest erleichtert wird.

Eine sexuelle Handlung unter Ausnutzung eines Überraschungsmoments kann darin zu sehen sein, dass ein Täter abrupt das Auto stoppt und der Beifahrerin ohne Vorwarnung einen Zungenkuss gibt, vgl. ebenso BGH 2 StR 301/18.

Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen im Überblick

Der erkennbare Wille gemäß § 177 Abs. I StGB findet sich neben dem Ausnutzen der Unfähigkeit, einen solchen Willen zu bilden nach § 177 Abs. II Nr. 1 StGB auch in § 177 Abs. II Nr. 2 StGB. Dort heißt es, dass der Täter auch eine Situation ausnutzt, wenn das Opfer aufgrund seiner körperlichen oder psychischen Situation in der Willensbildung eingeschränkt ist. Insbesondere umfasst sind hier geistig sowie körperlich behinderte Menschen.

Neben dem Überraschungsmoment in § 177 Abs. II Nr. 3 StGB besagt § 177 Abs. II Nr. 4 StGB, dass eine Strafbarkeit dann vorliegt, wenn der Täter die Lage ausnutzt, wonach dem Opfer bei tatsächlich geleistetem Widerstand ein empfindliches Übel droht. Hier zeigt sich, dass der Begriff des Widerstandes nicht gänzlich aus dem Wortlaut gestrichen wurde.

§ 177 Abs. II Nr. 5 StGB sieht als weitere Tatvariante vor, dass der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

Das könnte Sie auch interessieren