Für die Annahme einer Zwangslage i.S.d § 232 I 1 StGB, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, reicht es aus, wenn im Heimatland des Opfers schlechte soziale Verhältnisse herrschen, ohne dass noch weitere erschwerende Umstände hinzutreten müssen.
Verurteilung wegen Menschenhandels gemäß § 232 I StGB
Das Landgericht Berlin verurteilte den Angeklagten wegen Menschenhandels gemäß § 232 I StGB. Die Revision vor dem BGH blieb erfolglos.
Der Angeklagte überredete mehrere nigerianische Frauen, nach Deutschland zu kommen. Er warb damit, dass sie hier ein bessere Leben als in ihrem Heimatland haben würden, wo sie zuvor unter wirtschaftlich äußerst prekären Bedingungen gelebt hatten. Tatsächlich beabsichtigte er aber, sie als Prostituierte einzusetzen. In Ermangelung von Kontakten, Vermögen oder Sprachkenntnisse waren die Frauen auf ihn angewiesen. Zudem forderte er die Tilgung einer angeblichen Schuld in Höhe von 50.000 Euro durch Abgabe des Prostitutionserlöses.
Sexualstrafrechtliche Zwangslage ist eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers
Der BGH hat das Urteil des Landgerichts Berlin bestätigt, dabei aber die Gelegenheit genutzt, um das Tatbestandsmerkmal der „Zwangslage“ des § 232 I 1 StGB erneut zu konkretisieren und den Anwendungsbereich zu erweitern.
Nach der allgemeinen richterlichen Definition ist eine sexualstrafrechtliche Zwangslage eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers, welche ein dringendes Geld- oder Sachbedürfnis nach sich zieht. Eine Existenzbedrohung ist hierbei noch nicht notwendig. Es ist dabei auch irrelevant, ob der Täter die Zwangslage selbst hervorgerufen hat oder lediglich ausnutzte. Ferner spielt es keine Rolle, ob das Opfer die Zwangslage hätte vermeiden können. Hinzu kommt nun die Auslegung des 5. Strafsenats, wonach die Zwangslage bereits zu bejahen ist, wenn im Heimatland des Opfers kritische soziale Verhältnisse herrschen. Ein besonderer Zwangsumstand, wie etwa der persönliche Wunsch, die eigene Familie finanziell zu unterstützen, ist nicht notwendig.
Diese weite Auslegung entspricht dem Willen des Gesetzgebers, die Vorgaben der Vereinten Nationen und der Europäischen Union bzgl. der Bekämpfung des Menschenhandels umzusetzen. Dem Tatrichter wird so der Beweis einer tatsächlich vorliegenden Tatbestandsverwirklichung erleichtert. Denn anders als die oft schwer zu ermittelnden persönlichen Einzelverhältnisse der Opfer sowie die Handlungen und Absichten der Täter, lässt sich die soziale und wirtschaftliche Lage des Herkunftsstaates leicht ermitteln. Diese Verschärfung des Sexualstrafrechts sowie der damit verbundene Opferschutz gehen ebenfalls einher mit den Zielen der Lanzarote-Konvention des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch sowie der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.