Auf eine Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Kempten, hat sich der Bundesgerichtshof zu den Voraussetzungen geäußert, die erfüllt sein müssen, um rechtsfehlerfrei zur dem Urteil zu gelangen, der Angeklagte sei gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen.

Folgendes war geschehen:

„Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu 6 Jahren Freiheitsstrafe. Außerdem brachte es ihn in einer Entziehungsanstalt unter und verurteilte ihn zu einer Schadensersatz- und einer Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten. (…)

Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte am 24. 10. 2009 gegen 5.00 Uhr einer Spielhalle verwiesen worden, nachdem er das in einem Automaten steckende Geld eines anderen Gastes eigenmächtig verspielt hatte. Aus „Frust” hierüber entschloss er sich, den ihm unbekannten, zufällig begegnenden A zusammenzuschlagen. Während dieser deutlich alkoholisiert war, hatte der Angeklagte eine die Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigende Blutalkoholkonzentration zwischen 0,27 und 0,69‰. In der Folge schlug und trat der Angeklagte seinem Zufallsopfer derart ins Gesicht, dass es mit mehreren Frakturen „regungslos und röchelnd” am Boden liegen blieb und mehrfach operiert werden musste.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt: Dieser ist im Oktober 2002 nach Deutschland übergesiedelt. Sowohl in den ersten 6 Monaten hier als auch zuvor in seinem Herkunftsland Kasachstan hat er „fast jeden Tag” vor allem Bier und Wodka konsumiert, „bis er betrunken war”. Bereits in der Folge hat er seinen Alkoholkonsum reduziert, weil er deshalb „Probleme im Zusammenhang mit Schlägereien bekam” und deswegen verurteilt wurde. Den Vorstrafen des Angeklagten, der letztmals am 2. 1. 2006 straffällig geworden ist, liegen dementsprechend u.a. 3 im Jahr 2003 jeweils unter Alkoholeinfluss begangene – mit 2 Geldstrafen zu je 50 Tagessätzen sowie einer zweimonatigen Freiheitsstrafe geahndete – Körperverletzungen zu Grunde. Nach der jetzigen Tat hat er seinen Alkoholkonsum auf „ein bis zwei halbe Bier an 3 Tagen unter der Woche” reduziert und an Wochenenden lediglich noch im Kreis seiner Familie Alkohol getrunken. Der Angeklagtte hat Ende 2006 geheiratet und lebt mit seiner Frau und seiner im Folgejahr geborenen Tochter zusammen. Seit Ende 2005 ist er ununterbrochen bei einer Firma als angelernter Fassadenbauarbeiter beschäftigt“ (BGH, Beschluss vom 31. 3. 2011 – 1 StR 109/11 (LG Kempten)).

Nach Auffassung des BGH lagen damit die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) nicht vor, weil es an einem Hang Alkohol „im Übermaß“ zu konsumieren fehle:

„Ein Hang i.S. § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn entweder eine chronische, auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist – hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte – oder ohne körperliche Abhängigkeit eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren, und zwar „im Übermaß”. Dies wäre zu bejahen, wenn der Angeklagte auf Grund einer – allein in Betracht kommenden – psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erschiene. Da er keine sog. Beschaffungstat begangen hat (…) könnte hierauf indiziell hindeuten, wenn der Angeklagte Alkohol in einem solchen Umfang zu sich nehmen würde, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (…).

Solches lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Das Landgericht hat vielmehr festgestellt, dass der Angeklagte seit Ende 2005 ohne Unterbrechung beim selben Arbeitgeber im Fassadenbau arbeitet, nachdem es ihm bereits etwa zwei Jahre zuvor, also im Alter von 20 Jahren, gelungen war, weniger Alkohol zu trinken. Der Angeklagte lebt seit mehreren Jahren mit seiner Familie zusammen. Auch der Umstand, dass er im Anschluss an die mehr als 13 Monate vor dem Urteil begangene Tat seinen Alkoholkonsum durchaus steuern, nämlich auf „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche” erneut reduzieren und an Wochenenden lediglich noch auf im Kreis der Familie getrunkenen Alkohol beschränken konnte, spricht gegen eine psychische Abhängigkeit (…). Die Tat selbst hat der Angeklagte nur geringfügig alkoholisiert, insbesondere ohne erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit verübt. Da maßgeblich für die Feststellung des Hanges der Zeitpunkt des Urteils ist, kam den im Jahr 2003 unter Alkoholeinfluss begangenen 3 Körperverletzungen entgegen der Ansicht des LG keine maßgebliche Bedeutung mehr zu“ (BGH, Beschluss vom 31. 3. 2011 – 1 StR 109/11 (LG Kempten)).

Demnach war für eine Unterbringung des Angeklagten in  eine Entziehungsanstalt kein Raum und der BGH hat entsprechend § 354 I StPO auf den Wegfall der Unterbringungsanordnung unter Aufrechterhaltung des Urteils im Übrigen erkannt.

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