Der Bundesgerichtshof hat einem Widereinsetzungsantrag in die Frist zur Begründung der Revision stattgegeben.
Folgendes war geschehen:
„Der 70 Jahre alte, an schweren Durchblutungsstörungen leidende Angeklagte wurde (vom Landgericht Neuruppin) wegen Sexualdelikten zum Nachteil der Nebenklägerin, seiner Enkelin, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Sein Pflichtverteidiger, Fachanwalt für Familienrecht N, legte hiergegen am 1. 4. 2010 rechtzeitig das Rechtsmittel der Revision ein, hat nach seiner eidesstattlichen Versicherung „aber keine Revisionsbegründung zustande gebracht”. Der Pflichtverteidiger erklärte nach Verwerfung der Revision dem Angeklagten und dessen Ehefrau, dass es dabei nicht bleiben werde, weil die Verwerfung des Rechtsmittels nicht vom Angeklagten, sondern von ihm zu vertreten sei. In den folgenden Wochen stellte der Pflichtverteidiger den Wiedereinsetzungsantrag nicht, weil es ihm nach der genannten eidesstattlichen Versicherung aus persönlichen Gründen so schlecht ging, dass er kaum noch arbeiten konnte.
Der Angeklagte stellte sich am 19. 7. 2010 in der JVA zum am 6. 7. 2010 angeordneten Strafantritt. Er befindet sich jetzt in der Krankenabteilung und hatte es bis 26. 8. 2010 – nach eidesstattlichen Versicherungen, gestützt von ärztlichen Attesten – infolge seines verstörten Zustandes nicht geschafft, seine Ehefrau und seinen Schwiegersohn als Besucher eintragen zu lassen.
Nachdem vom Büro des Pflichtverteidigers versprochene Rückrufe des Rechtsanwalts ausgeblieben waren, suchten die Ehefrau des Angeklagten und dessen Schwiegersohn am 25. 8. 2010 den am nächsten Tag vom Angeklagten in der JVA mandatierten Wahlverteidiger auf. Dieser hat mit Schriftsatz vom 31. 8. 2010 Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision und die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags beantragt und die Revision begründet“ (s.h. insgesamt: BGH, Beschluss vom 14. 10. 2010 – 5 StR 418/10).
Das Begehren auf Wiedereinsetzung war aus folgenden Gründen zulässig:
„Das hier in Ansehung der vom Pflichtverteidiger eingelegten Revision des Angeklagten vorliegende Hindernis, über keinen Verteidiger zu verfügen, der bereit und in der Lage ist, die gebotenen Revisionsanträge und ihre Begründung anzubringen, ist erst durch das durch die Ehefrau des Angekl. am 25. 8. 2010 begründete und einen Tag später aktivierte Anbahnungsverhältnis mit dem dann mandatierten Wahlverteidiger entfallen“ BGH, Beschluss vom 14. 10. 2010 – 5 StR 418/10). Es war damit innerhalb der durch § 45 Absatz I 1 StPO festgelegten Wochenfrist gestellt.
Der Wiedereinsetzungsantrag war auch begründet:
„Den Angeklagten trifft an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch den Pflichtverteidiger auch kein die Voraussetzungen des § STPO § 44 S. 1 StPO erfüllendes Mitverschulden (…).
Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob Kenntnis von der Unzuverlässigkeit des Pflichtverteidigers auch dann zur Annahme eines Mitverschuldens berechtigen würde, wenn – wie hier – eine Erkrankung des Pflichtverteidigers bei dem Angeklagten zu einem gesetzwidrig unverteidigten Zustand geführt hat, den es auch im öffentlichen Interesse durch Auswechslung des Verteidigers zu beseitigen gegolten hätte (…). Jedenfalls war der Angeklagte nach den glaubhaft gemachten Umständen nicht in der Lage, auf Grund – hier maßgeblicher – eigener Initiative Schritte zur Auswechselung des Pflichtverteidigers zu ergreifen (…) (BGH, Beschluss vom 14. 10. 2010 – 5 StR 418/10).
Der Wegfall der Rechtskraft des gegen den Angeklagten ergangenen Urteils durch die Widereinsetzung in den vorherigen Stand musste damit zur sofortigen Beendigung der Strafvollstreckung führen.