Auf eine Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen äußert sich der Bundesgerichtshof (BGH) zu den Anordnungsvoraussetzungen des § 100g StPO (Erhebung von Verkehrsdaten).
§ 100g Absatz Satz 1 StPO lautet wie folgt:
Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Abs. 2 bezeichnete Straftat, begangen hat, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat oder durch eine Straftat vorbereitet hat so dürfen auch ohne Wissen des Betroffenen Verkehrsdaten (§ 96 Abs. 1, § 113a des Telekommunikationsgesetzes) erhoben werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist.
Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB) als erhebliche Straftat?
Ist die Strafvorschrift des Vortäuschens einer Straftat i.S.d. § 145d StGB eine erhebliche Straftat, die die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO erlaubt?
Die Antwort des Bundesgerichtshofs lautet wie folgt:
„Eine Straftat hat „erhebliche Bedeutung“, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (…). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber der Straftat allgemein ein besonderes Gewicht beimisst und sie im konkreten Fall erhebliche Bedeutung hat (…). Der Verdacht richtete sich auf eine Straftat gemäß § 145 d StGB; eine solche Tat ist im Höchstmaß mit 3 Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Sie ist deshalb nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen (…), aber im Hinblick auf die gegenüber der gesetzlich vorgesehenen Mindesthöchststrafe erhöhte Strafdrohung als Anlasstat nicht von vornherein ausgeschlossen. In Einzelfällen kann auch solchen Taten auf Grund der besonderen Bedeutung des geschützten Rechtsguts oder des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung erhebliche Bedeutung zukommen (…).
Besondere Bedeutung des geschützten Rechtsguts oder des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung
Dies ist sowohl vom anordnenden Richter als auch vom Tatgericht bei der Rekonstruktion der Verdachts- und Beweislage zum Anordnungszeitpunkt hinreichend bedacht worden. Mit rechtsfehlerfreien Erwägungen haben sie aber angesichts der außergewöhnlichen, der Tat ein deutlich über das durchschnittliche Gewicht einer Tat nach § 145 d StGB herausragendes Gepräge gebenden Umstände des Einzelfalls – des Verdachts der Begehung der Tat als Bürgermeister im Zusammenhang mit dem Amt, der Vortäuschung, Opfer eines Brandanschlages im Rathaus geworden zu sein, durch den er zur Aufgabe seines Amtes genötigt werden sollte, der dadurch zu erwartenden Schädigung des Ansehens der betroffenen Gemeinde, des durch die Tat hervorgerufenen öffentlichen Aufsehens und des zum Anordnungszeitpunkt anzunehmenden Motivs der Erlangung von wirtschaftlichen Vorteilen durch die Anerkennung als Dienstunfall — eine erhebliche Bedeutung angenommen“ (BGH, Beschl. v. 7. 8. 2013 – 1 StR 156/13 (LG Waldshut-Tiengen)).