In einem interessanten Beschluss hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zu der Frage geäußert, wie eine Wahllichtbildvorlage in der Praxis durchgeführt werden sollte, damit ihr schon aus sich heraus ein hoher Beweiswert zukommt. Damit einer Wahllichtbildvorlage ein hoher Beweiswert zukommen kann, sollten nach Ansicht des BGH Lichtbilder von wenigstens 8 Personen nacheinander (sequentiell) vorgelegt werden. Wenn dies nicht geschieht, ist der Beweiswert gemindert. An die Beweiswürdigung im Übrigen sind sodann höhere Anforderungen zu stellen (BGH, Beschluss vom 9. 11. 2011 – 1 StR 524/11 (LG Heilbronn)).
Folgendes Geschehen liegt dem Beschluss zu Grunde:
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags und weiterer Gewaltdelikte sowie wegen mehrerer Unterschlagungen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung (ebenfalls wegen vorsätzlicher Körperverletzung) zu einer Jugendstrafe verurteilt. (…)
Die (gefährliche) Körperverletzung zum Nachteil des ihm bis dahin nicht bekannten Mi. R hat der Angeklagte bestritten. Dieser und weitere Zeugen der Tat hatten den Angeklagten bei einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Wahllichtbildvorlage nicht oder nicht sicher wiedererkannt. Ähnlich war das Ergebnis der Hauptverhandlung, auch soweit dort weitere Tatzeugen vernommen wurden, mit denen im Ermittlungsverfahren keine Wahllichtbildvorlage durchgeführt worden war. Soweit Mi. R den Angeklagten in der Hauptverhandlung erkannte, hat die Jugendkammer zutreffend erwogen, dass er möglicherweise das ihm früher gezeigte Lichtbild wiedererkannt haben könnte. Die Jugendkammer stützt ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angekl. entscheidend auf die Aussage des ebenfalls bei der Tat anwesenden Ma. R. Dieser hatte den Angeklagten vor allem deshalb wiedererkannt, weil er einige Monate zuvor selbst einen Streit und eine tätliche Auseinandersetzung mit dem Angeklagten gehabt hatte. Außerdem hat er, wie die Vernehmung des damit befassten Polizeibeamten bestätigte, den Angeklagten bei einer Wahllichtbildvorlage wiedererkannt. Der Angeklagte war auf dem 5. dem Zeugen vorgelegten Lichtbild abgebildet gewesen. Nachdem der Zeuge erklärt hatte, er erkenne den Angeklagten auf diesem Bild als denjenigen wieder, der Mi. R mit dem Messer verletzt hatte, wurde die Wahllichtbildvorlage beendet, obwohl die Vorlage von 9 Lichtbildern vorbereitet gewesen war. Die Jugendkammer führt näher aus, dass trotz des Abbruchs der Wahllichtbildvorlage deren Ergebnis, etwa wegen der Angabe von Ma. R, den Angeklagten von der früheren Auseinandersetzung her zu kennen, und aus sonstigen, von der Jugendkammer dargelegten Gründen, „nicht wertlos” gewesen sei“ (BGH, Beschluss vom 9. 11. 2011 – 1 StR 524/11 (LG Heilbronn)).
Die Revision knüpfte an den Abbruch der Wahllichtbildvorlage an und meinte, dass unter den gegebenen Umständen der Beweiswert der Wahllichtbildvorlage gegen Null strebe.
Dies hat der BGH anders gesehen. Hierzu wird ausgeführt:
„Allerdings sollen, dies ist ein Ergebnis kriminalistischer Erfahrung, einem Zeugen bei einer Gegenüberstellung „eine Reihe” von Vergleichspersonen gegenübergestellt werden (vgl. Nr. 18 RiStBV), wobei eine Zahl von mindestens 8 Vergleichspersonen empfehlenswert ist. Die gleiche Anzahl von Lichtbildern ist bei Wahllichtbildvorlagen sachgerecht (…). Dabei ist es vorzugswürdig, wenn dem Zeugen die Lichtbilder nicht gleichzeitig sondern nacheinander (sequentiell) vorgelegt werden (…). Der nicht näher ausgeführte Hinweis des Generalbundesanwalts, der Abbruch einer Wahllichtbildvorlage, sobald eine Person erkannt sei, beruhe (nicht nur) auf „polizeilichen Richtlinien” (…), sondern sei auch „in entsprechender Software implementiert”, spricht dafür, dass hier – die Urteilsgründe äußern sich hierzu nicht ausdrücklich – die Wahllichtbildvorlage nicht in Papierform sondern (rechtlich unbedenklich) mit Videotechnik durchgeführt wurde. Unabhängig davon ist der Senat der Auffassung, dass einem Zeugen auf jeden Fall im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage (mindestens) 8 Personen gezeigt bzw. vorgespielt werden sollten, auch wenn er schon zuvor angibt, eine Person erkannt zu haben. Denn er kann bei einer größeren Vergleichszahl etwaige Unsicherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen legen, sodass im Ergebnis eine Wiedererkennung unter (mindestens) 8 Vergleichspersonen einen höheren – in Grenzfällen möglicherweise entscheidenden – Beweiswert gewinnen kann (…).