Der Bundesgerichtshof (BGH) hat auf eine Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Landgerichts Hannover zu der Frage Stellung bezogen, ob der Täter das zweite Opfer, das zuvor das Tötungsgeschehen des ersten Opfers beobachtet hat, ebenfalls heimtückisch töten kann (BGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – 3 StR 223/11 (LG Hannover)).
Folgendes hatte sich zugetragen:
„Nach den Feststellungen geriet der unter dem Einfluss von Alkohol und Benzodiazepinen stehende Angeklagte im Juli 2010 während der Fußballweltmeisterschaft in einem Lokal in Hannover mit dem L und dem S in Streit, wobei er fälschlich bestritt, dass Italien bereits viermal Fußballweltmeister geworden war. Nach einer Rempelei mit L begab sich der Angeklagte nach Hause, nahm eine mit 6 Patronen geladene Pistole Makarov, Kaliber 9 mm, an sich und kehrte in das Lokal zurück. Dort trat er auf den hinter S am Tresen sitzenden L zu. Als dieser aufstehen wollte, nahm der Angeklagte die Waffe aus einer Plastiktüte, hielt sie mit den Worten „Da hast Du Deine vier Sterne” dem völlig überraschten und unvorbereiteten L an die Stirn und erschoss ihn. Daraufhin wandte sich S dem Angeklagten zu und bat diesen sinngemäß mit den Worten „nein, nicht”, ihn zu verschonen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den S ebenfalls zu töten, richtete die Waffe auf ihn und gab aus nächster Nähe 2 Schüsse auf ihn ab, an deren Folgen S verstarb. Motiv für die Tötung beider Opfer war die Verärgerung des Angeklagten über den Streit betreffend die Anzahl der Fußballweltmeistertitel sowie darüber, nicht Recht gehabt zu haben und in der Auseinandersetzung unterlegen gewesen zu sein. Nach der Tat flüchtete der Angeklagte nach Spanien, stellte sich dort aber der Polizei.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in 2 Fällen jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine vom Angeklagten in Spanien erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 : 1 auf die Strafe angerechnet“ (BGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – 3 StR 223/11 (LG Hannover)).
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft war aus den folgenden Gründen unbegründet.
„Das Landgericht hat bezüglich beider Opfer eine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hinsichtlich des L hat es das Handeln des Angeklagten zudem als heimtückisch gewertet; für die Tötung des S hat es dieses Mordmerkmal demgegenüber nicht bejaht. Die sachverständig beratene Strafkammer hat weiter ausgeführt, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei aufgrund einer Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen bei ängstlich-depressiver Symptomatik in Verbindung mit der zur Tatzeit bestehenden Intoxikation gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Es hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 211 StGB vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe nach den § 21, § 49 Absatz I StGB zu mildern, und in beiden Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von 12 Jahren verhängt; aus diesen hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten gebildet.
(…) Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt – auch mit Blick auf die Einzelbeanstandungen der Revision – aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angekl. erkennen. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
(…) Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bezüglich der Tötung des S zutreffend das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen kein Anlass besteht, kommt es beim heimtückisch begangenen Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (…). Allerdings kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegen tritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (…). Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine in gewisser Weise erweiternde Auslegung des Begriffs „Angriff”. Er liegt nicht erst dann vor, wenn der Stich, Schlag oder Schuss selbst geführt oder gelöst wird, sondern umfasst die unmittelbar davor liegende Phase. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Heimtücke nur zu bejahen ist, wenn der Täter bei Beginn des ersten Angriffs mit Tötungsvorsatz handelt (…).
Angeklagte handelte bei der zweiten Tötung nicht heimtückisch
Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht heimtückisch; denn er fasste den Entschluss, S zu erschießen, erst spontan zu einem Zeitpunkt, als dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen Geschehens die Gefahr erkannt hatte und somit nicht mehr arglos war. Bei dieser Fallkonstellation fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung, die darin liegt, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung ausnutzt, indem er es in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder ihn doch wenigstens zu erschweren (…). Allein der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der vorangegangen heimtückischen Tötung des L genügt hierfür nicht. …(BGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – 3 StR 223/11 (LG Hannover)).