Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss auf eine Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Köln zu der Reichweit des § 265 I StPO im Zusammenhang mit Mordmerkmalen gemäß § 211 StGB Stellung genommen. Tenor der Entscheidung ist, dass der Tatrichter den Angeklagten rechtzeitig darauf hinweisen muss, wenn aus seiner Sicht abweichend vom angeklagten Mordmerkmal ein anderes Mordmerkmal in Betracht kommt. Hierbei muss für den Angeklagten zudem erkennbar sein, welche tatsächlichen Umstände nach Auffassung des Gerichts Grundlage der neuen rechtlichen Bewertung sind.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Am Tattag begab sich der Angeklagte zur Wohnung der später getöteten Ni, mit der er seit einiger Zeit eine sexuelle Beziehung hatte. In einem Rucksack führte er eine geladene Pistole mit sich. In der Wohnung traf er auf das weitere Tatopfer N, mit dem Ni ebenfalls ein Verhältnis hatte und zusammenlebte. Der Angeklagte forderte von Ni eine Entscheidung zwischen ihm und N, die sie jedoch nicht traf. Im Laufe der Diskussion verließ N die Wohnung. Zum weiteren Geschehen konnte lediglich festgestellt werden, dass Ni gegen 18.30 Uhr mit ihrem Pkw, dessen Dach und Fenster geschlossen waren, die Tiefgarage verlassen wollte. Als sie an dem nach draußen führenden Rolltor stand, wurde sie von dem Angeklagten von der geöffneten Beifahrertür aus mit 4 bis 5 Schüssen getötet. Ungefähr um 18.45 Uhr erschien N in der Tiefgarage und trat auf der Fahrerseite an das Fahrzeug heran. Der Angeklagte gab mit direktem Tötungsvorsatz zwei bis drei Schüsse auf ihn ab. Dabei stand er rechts unmittelbar neben dem Fahrzeug ungefähr auf Höhe der Beifahrertür und schoss über das Dach des Pkw hinweg. N wurde von 2 der Schüsse getroffen; einer durchschlug den linken Ellenbogen, ein weiterer traf ihn in den Oberbauch. Er wandte sich in Richtung Treppenhaus, um zu fliehen. Der Angeklagte holte ihn ein und versetzte ihm mit dem Griff der Pistole von hinten einen Schlag auf den Kopf. N ging zu Boden und blieb auf dem Bauch liegen. Der Angeklagte gab nunmehr aus einer Entfernung von 40–60 cm mit direktem Tötungsvorsatz 3 Schüsse in den Rücken von N ab, an denen dieser verstarb.
Das LG hat den Angeklagten wegen Mordes und wegen Totschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt“ (BGH, Beschluss vom 23. 3. 2011 – 2 StR 584/10 (LG Köln)).
Die Revision des Angeklagten führte im Fall 2 aus den folgenden Gründen zu einer Teilaufhebung des angefochtenen Urteils:
„Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage vom 10. 11. 2009 legte dem Angeklagten im Fall 2 zur Last, N heimtückisch und zur Verdeckung einer Straftat getötet zu haben. Am 9. Verhandlungstag (19. 3. 2010) erteilte das LG folgenden rechtlichen Hinweis:
„In der Strafsache gegen K werden der Angeklagte und seine Verteidiger darauf hingewiesen, dass statt des angeklagten zweifachen Mordes auch eine Bestrafung wegen zweifachen Totschlags (§ 212 StGB), wie auch im zweiten Fall eine Bestrafung wegen einer heimtückischen Tötung zur Verdeckung einer Straftat und aus niedrigen Beweggründen in Betracht kommt.”
Weitere Hinweise oder Erläuterungen erfolgten in der Hauptverhandlung nicht. Am 22. 3. 2010 fragte einer der Verteidiger des Angeklagten telefonisch bei der Berichterstatterin und stellvertretenden Vorsitzenden an, welchen niedrigen Beweggrund die Kammer in Betracht ziehe. Er erhielt sinngemäß die Antwort, dass an einen Beweggrund im Zusammenhang mit der Geschichte der Dreiecksbeziehung im Vorfeld gedacht werden könne. Auf weiteres konkretes Nachfragen entgegnete die Richterin, dass sie nicht mehr sagen könne, sie habe sich ohnehin schon „zu weit aus dem Fenster gelehnt”.“
Diese Vorgehensweise war nach Ansicht des BGH mit § 265 I StPO aus den folgenden Gründen nicht zu vereinbaren:
„Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass es eines förmlichen rechtlichen Hinweises auf das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe bedurfte. Ein solcher Hinweis muss nicht nur erteilt werden, wenn ein anderes Strafgesetz als das im Eröffnungsbeschluss genannte angewandt, sondern auch dann, wenn der Angeklagte wegen einer andersartigen Begehungsform desselben Strafgesetzes verurteilt werden soll (…). Das Schwurgericht muss deshalb regelmäßig darauf hinweisen, wenn es abweichend vom Anklagevorwurf wegen eines anderen Mordmerkmals verurteilen will (…). Mit Rücksicht auf den Regelungszweck des § 265 Absatz I StPO ist dies jedenfalls dann anzunehmen, wenn die in Betracht kommenden Begehungsformen sich in ihren objektiven und subjektiven Voraussetzungen so stark voneinander unterscheiden, dass eine umfassende Verteidigung des Angeklagten nur durch eine förmliche Unterrichtung gesichert werden kann. Das ist der Fall, wenn das Schwurgericht den Angeklagten wie hier abweichend vom Anklagevorwurf nicht aus dem Gesichtspunkt der Heimtücke, sondern dem der niedrigen Beweggründe wegen Mordes verurteilen will; dasselbe gilt beim Übergang vom Vorwurf des Tötens in Verdeckungsabsicht zum Vorwurf des Tötens aus Wut als niedrigem Beweggrund (…).
Die Revision macht zu Recht geltend, dass der rechtliche Hinweis nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Der Hinweis muss – allein oder in Verbindung mit der zugelassenen Anklage – dem Angeklagten hinreichend erkennbar machen, durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale als erfüllt ansieht (…). Das gilt auch für das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe (…). Nur so kann er seine Funktion erfüllen, den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen zu schützen und ihm die Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem neuen Vorwurf zu verteidigen.
Der bloße, zudem als solcher wegen der kumulativen Aufzählung der in Betracht kommenden Mordmerkmalen schon nicht unmissverständliche Hinweis war hier nicht geeignet, den Angeklagten ausreichend darüber zu informieren, welche Umstände nach Auffassung des Gerichts Grundlage der neuen rechtlichen Bewertung sein konnten. Erläuternde Angaben waren auch nicht entbehrlich. Weder der Anklage noch der in der Revisionsschrift wiedergegebenen und als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommenen Erklärung des Angeklagten lassen sich Tatsachen entnehmen, aus denen auf das Vorliegen niedriger Beweggründe, insbesondere auf die vom Landgericht im Urteil angenommene „Wut”, geschlossen werden konnte. Die von der stellvertretenden Vorsitzenden am Telefon abgegebene Erklärung war – abgesehen davon, dass sie in formeller Hinsicht nicht die Anforderungen an einen Hinweis nach § 265 Absatz I StPO erfüllte – ersichtlich ebenfalls nicht geeignet, den Verteidiger über die tatsächliche Grundlage des abweichenden rechtlichen Gesichtspunktes zu informieren und den Angeklagten vor einer Überraschungsentscheidung zu bewahren.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem unzureichenden Hinweis beruht. Insoweit hat die Verteidigung in der Revisionsschrift im Einzelnen dargelegt, was sie bei einem ordnungsgemäßen Hinweis gegen den – im Übrigen auch nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht nahe liegenden Vorwurf niedriger Beweggründe – noch vorgebracht hätte“ (BGH, Beschluss vom 23. 3. 2011 – 2 StR 584/10 (LG Köln)).