Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat ein Urteil des Landgerichts Saarbrücken erfolgreich angefochten. Dem Landgericht Saarbrücken war es gelungen, einen besonders schweren Fall einer sexuellen Nötigung i.S.d. § 177 Abs.1 und Abs. 2 S. 2 Nr. 1 (Vergewaltigung) mit der Begründung abzulehnen, dass für den Angeklagten eine verminderte Hemmschwelle bestanden habe, mit der Nebenklägerin gegen ihren Willen anal zu verkehren, weil sie hiermit einige Male zuvor einverstanden war.
177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB normiert einen besonders schweren Fall der sexuellen Nötigung i.S.d § 177 Abs. 1 StGB als Regelbeispiel, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Zwar ist durchaus löblich, dass die Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken sich – trotz des festgestellten Analverkehrs – überhaupt ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob das Regelbeispiel erfüllt ist. Denn es handelt sich eben nur ein Regelbeispiel. Dennoch war dies nach den festgestellten Umständen ein sehr mutiges Urteil (gerade unter Berücksichtigung des aktuell herrschenden sexualstrafrechtlichen Zeitgeistes).
Das Tatgeschehen und die rechtliche Wertung des Landgerichts
„Der Angeklagte und die Nebenklägerin waren nach türkischem Ritus verheiratet. Im Zuge eines Streits Mitte des Monats Mai 2013 schlug der auch schon zuvor ihr gegenüber gewalttätige Angeklagte der Nebenklägerin ins Gesicht und beschimpfte sie. Er kündigte an, er werde an ihr den Analverkehr ausführen, weil sie das verdiene. Die Nebenklägerin widersetzte sich, weinte und versuchte, den Raum zu verlassen. Der Angeklagte zerrte sie ins Gästezimmer. Mehrfach brachte er zum Ausdruck, sie solle locker lassen, dann brauche er sie nicht zu schlagen; wenn sie sich wehre, tue es noch mehr weh. Die Nebenklägerin versuchte, sich zu befreien. Der Angeklagte hielt sie jedoch weiter fest, schlug auf sie ein und warf sie aufs Gästebett. Die Nebenklägerin versuchte mit aller Kraft, das Bett zu verlassen, und bat ihn, er solle aufhören. Der Angeklagte hielt sie weiter fest, zog ihr die Hose aus und drückte sie aufs Bett. Sie fiel mit dem Gesicht in das Kissen und verspürte Atemnot. Er drückte ihr mit großem Kraftaufwand die Beine auseinander und drang zunächst mit den Fingern und dann mit seinem erigierten Glied anal in sie ein. Er führte den Analverkehr ohne Kondom bis zum Samenerguss durch. Anschließend sagte er zur Nebenklägerin, für die zwei Minuten habe sie sich jetzt so gewehrt, und verließ den Raum. Der Nebenklägerin war übel. Sie fühlte sich durch die Tat erniedrigt. Auf der Toilette stellte sie eine anale Blutung fest. Sie hatte durch die Schläge und das Auseinanderdrücken ihrer Beine mehrere Tage Schmerzen am ganzen Körper“ (insgesamt: BGH, Urteil vom 20.04.2016 – BGH Aktenzeichen 5 StR 37/16).
Das Landgericht konnte sich aufgrund folgender Erwägungen nicht dazu durchringen, in dem Verhalten des Angeklagten eine Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB zusehen:
„Der Angeklagte und die Nebenklägerin hätten seit längerem eine intime Beziehung geführt. Vor der Tat sei es vier- bis fünfmal zum Analverkehr gekommen. Zwar habe die Nebenklägerin dabei jeweils zum Ausdruck gebracht, dass sie den Analverkehr nicht wolle, diese Sexualpraktik aber dann doch über sich ergehen lassen. Wegen dieses Verhaltens sei die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt worden, „noch einen Schritt weiter zu gehen“ und den Analverkehr nicht nur gegen den verbalen, sondern auch gegen den körperlichen Widerstand der Nebenklägerin durchzusetzen“ (BGH, Urteil vom 20.04.2016 – BGH Aktenzeichen 5 StR 37/16).
Die rechtliche Wertung des Bundesgerichtshofs zur sexuellen Nötigung
Dies monierte der 5. Senat des Bundesgerichtshofs und hob das Urteil auf:
„Die Nichtanwendung des Strafrahmens § 177 Abs. 2 S. 1 StGB trotz Erfüllung eines Regelbeispiels nach§ 177 Abs. 2 Satz 2 StGB begegnet nur dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe hierfür streiten (…). Dies hat das Landgericht verkannt, indem es der durch die Verwirklichung des § 177 Abs. 2 S. 2 Nr.1 StGB begründeten Regelwirkung lediglich die Erwägung zu einer womöglich verminderten „Hemmschwelle“ des Angeklagten gegenübergestellt hat. Es bestehen schon Bedenken, ob dieser Gesichtspunkt für sich genommen eine ausschlaggebende Entlastung des Angeklagten begründen könnte. Das bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Tat ausweislich der Äußerung des Angeklagten, die Nebenklägerin „verdiene“ die Vergewaltigung, Bestrafungscharakter aufweist. Bereits dies schließt es aus, früher gepflogene, von der Nebenklägerin überdies stets abgelehnte Sexualpraktiken strafmildernd in Ansatz zu bringen (…). Darüber hinaus hat das Landgericht die weiteren den Angeklagten schwer belastenden Umstände (gewichtige Gewaltausübung, besondere Demütigung der Nebenklägerin, Durchführung des Analverkehrs bis zum Samenerguss, Traumatisierung der Nebenklägerin) nicht wie geboten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt.“