In einem Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes vor dem Landgericht Chemnitz wurde der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz begründete Revision von Rechtsanwalt Dr. Baumhöfener hatte mit der ausgeführten Sachrüge vor dem Bundesgerichtshof Erfolg (BGH, Beschluss vom 30.08.2022 – 5 StR 171/22).
Fehlerhafte Beweiswürdigung
Dabei haben sich die Ausführungen von Rechtsanwalt Dr. Baumhöfener insbesondere auf die fehlerhafte Beweiswürdigung des Landgerichts Chemnitz konzentriert. Angriffe gegen die Beweiswürdigung eines Urteils sind insofern nicht leicht durchzubringen, als dass die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (u.a. BGH, NStZ-RR 2015, 148) Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (u.a. BGH, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze (BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27, zit. nach juris). Das Tatgericht muss alle Umstände, die geeignet waren, seine Entscheidung zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen miteinbezogen haben. Dies ist insbesondere dann unabdingbar, wenn der Tatrichter seine Feststellungen zum Tatgeschehen allein oder im Wesentlichen auf die Angaben des (vermeintlichen) Tatopfers stützt und daher seine Urteilsfindung maßgeblich von der Beantwortung der Frage abhängt, ob diesem zu glauben ist oder nicht (BGH, NStZ 2020, 693).
Ausführungen in der Revision
Diesen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung wurde das Urteil des Landgerichts Chemnitz in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Unter anderem konzentrierte sich die Revision dabei auf die Tatsache, dass die Urteilsgründe keine hinreichende Basis für die revisionsrechtliche Überprüfung der vorgenommenen Aussageanalyse boten. Die festgestellte Konstanz der Angaben der Nebenklägerin wurde von dem Landgericht Chemnitz damit begründet, dass sie vom „Zeitpunkt der Vernehmung bei der Ermittlungsrichterin bis zum Zeitpunkt der Angaben gegenüber dem Sachverständigen, sehr konstant und detailreich ausgesagt hat“. Indes wurden die Angaben der Nebenklägerin gegenüber dem Sachverständigen in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt, so dass die behauptete Aussagekonstanz nicht überprüft werden konnte. Diesbezüglich war den Urteilsgründen lediglich zu entnehmen, dass die Nebenklägerin gegenüber dem Sachverständigen im Berichtsverhalten sichtbar um Erinnerungen bemüht gewesen sei und Erinnerungslücken zugegeben habe. Jedoch muss in Fällen mit problematischer Beweislage, bei denen es zuvörderst auf die Zeugenaussagen des mutmaßlichen Tatopfers ankommt, der entscheidende Teil der Aussagen in das Urteil aufgenommen werden, weil dem Revisionsgericht sonst die rechtliche Überprüfung nicht möglich ist (BGH, NStZ-RR 2015, 52 f.). Zudem blieb offen, aus welchen Gründen die Kammer den Angeklagten in Bezug auf sieben weitere Vorfälle wegen Kindesmissbrauchs freigesprochen hat. Die Kammer führte hierzu aus, dass „die insoweit verbleibenden Unsicherheiten (…) darauf (beruhen), dass die Anklage bereits vor Erstellung des Glaubwürdigkeitsgutachtens gefertigt worden“ war. Worauf die von dem Landgericht Chemnitz erwähnten Unsicherheiten nach Erstellung des Gutachtens indes konkret beruhen, blieb ungeklärt. Die Gründe hierfür wurden nicht mitgeteilt. Sie ergeben sich mangels Angaben darüber, was die Nebenklägerin bei dem Gutachter zu den Vorwürfen ausgeführt hat, auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Hat die (Haupt)Belastungszeugin weitere Straftaten behauptet, von denen sich das Gericht nicht zu überzeugen vermag, so gewinnt das in diesem Rahmen besondere Bedeutung und bedarf näherer Erörterung (BGH 28.4.2020 – 2 StR 494/19, NStZ 2020, 693).
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Insbesondere den letztgenannten Aspekt hat der Bundesgerichtshof aufgegriffen und zur Grundlage seiner Aufhebung des Urteils des Landgerichts Chemnitz gemacht:
Das Landgericht hat seine Überzeugung vom Tatkerngeschehen im Wesentlichen auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt, weshalb seine Urteilsfindung maßgeblich von der-Beantwortung der Frage abhing, ob dieser zu glauben ist. Soweit die Belastungszeugin weitere Straftaten behauptet hat, von denen sich die Jugendschutzkammer nicht zu überzeugen vermochte, bleibt gänzlich offen, worauf „verbleibende Unsicherheiten“ beruhten. Die hierzu gegebene Begründung trägt zur Aufklärung nicht einmal ansatzweise bei. Im Gegenteil: Soweit die Jugendschutzkammer darauf abstellt, Unsicherheiten basierten darauf, dass „die Anklage bereits vor Erstellung des Glaubwürdigkeitsgutachtens gefertigt worden“ war, rückt sie das Ergebnis der Glaubwürdigkeitsbegutachtung der Nebenklägerin in den Vordergrund und entwertet hiermit zugleich deren Bekundungen zu den abgeurteilten Taten (insges.: BGH, Beschluss vom 30.08.2022 – 5 StR 171/22).
Das Urteil des Landgerichts Chemnitz wurde insofern durch den Bundesgerichtshof aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer zurückverwiesen.
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