Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat auf eine Revision von Rechtsanwalt Dr. Baumhöfener ein Urteil des Landgerichts Flensburg aufgehoben (Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht, Beschluss v. 27.04.2011, 1 Ss 69/11)).
Mit der Revision wurde unter anderem gerügt, dass das Landgericht Flensburg es unterlassen hat, vor Ersetzung einer Zeugenaussage durch Verlesung, einen Gerichtsbeschluss herbeizuführen (§ 251 IV StPO). Auch das Einverständnis des Angeklagten zur Verlesung der Zeugenaussage (§ 251 II Nr. 3 StPO) wurde nicht eingeholt.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig-Hosteinischen Oberlandesgericht hat in ihrer Stellungnahme zur Revisionsbegründung ausgeführt:
„Zu Recht wird mit der Revision ein Verstoß gegen § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO geltend gemacht. Die Verfahrensrüge wurde in der zulässigen Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben. Sie ist darüber hinaus auch begründet. Die Kammer hat ausweisliech des Hauptverhandlungsprotokolls die schriftliche Aussage des Zeugen U. verlesen (…). Ein entsprechender, auf die Verlesung der besagten Urkunde gerichteter Gerichtsbeschluss ist dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen. Dort ist lediglich die Zustimmung des Verteidigers, des Staatsanwalts und der Vertreterin der Nebenklage protokolliert, wobei es sich hinsichtlich des angeführte § 151 Abs. 1 Nr. 1 GVG um eine offenbare Unrichtigkeit handelt. Gemeint ist § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO Der Beschluss nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO ist eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 StPO (…). Ein entsprechender Gerichtsbeschluss ist nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung auch dann erforderlich, wenn alle Beteiligten mit der Verlesung einverstanden sind (…), was vorliegend im Hinblick auf die fehlende Zustimmung des Angeklagten nicht gegeben war.
Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil auf dem festgestellten Rechtsfehler beruht. Der Bundesgerichtshof legt bei der Frage, ob das Urteil bei einem fehlenden Beschluss im Sinne des § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO auf diesem Rechtsfehler beruht, einen strengen Maßstab an: “Zwar ist es zutreffend, dass das Beruhen nach der Rechtsprechung entfallen kann, wenn den Verfahrensbeteiligten der Grund der Verlesung bewusst war und die persönliche Vernehmung des Zeugen zur weiteren Aufklärung nicht hätte beitragen können (vgl. BGH NStZRR 2007, 52; 2001, 261). Ein solcher Ausschluss des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Verletzung des Gesetzes und dem Urteil kann jedoch mit Rücksicht auf Sinn und Zweck des Beschlusserfordernisses nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Die in § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO verlangte Entscheidung durch den gesamten Spruchköper dient nicht nur der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten über den Grund der Verlesung. Sie beruht vor allem auch darauf, dass die Ersetzung der Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung einer Niederschrift den Grundsatz der Unmittelbarkeit einschränkt, der zur Qualitätssicherung der Beweisaufnahme eine direkte und unvermittelte Wahrnehmung der Gerichtspersonen in der Hauptverhandlung gewährleisten soll. Das Beschlusserfordernis in § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO soll angesichts der potentiellen Bedeutung der Verlesung für die Zuverlässigkeit der Beweisgewinnung und Rekonstruktion des Tatgeschehens auch gewährleisten, dass das Gericht durch eine gemeinsame Meinungsbildung sowie in seiner Gesamtheit die Verantwortung dafür trägt, ob ausnahmsweise die Einschränkung der Unmittelbarkeit durch den Verzicht auf den Zeugen hinnehmbar ist oder die Aufklärungspflicht die Vernehmung der Beweisperson gebietet (…)“ (Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht, Beschluss v. 27.04.2011, 1 Ss 69/11)).
Die Kammer des Landgerichts Flensburg hatte ihre Urteilsbegründung maßgeblich auch auf die Zeugenaussage des Zeugen U. gestützt. Es konnte insofern nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil bei einer Vernehmung des Zeugen U. anders ausgefallen wäre.
„Dass der Verteidiger und der Angeklagte der Verlesung nicht widersprochen haben, wäre schon bei einem vorliegenden Beschluss unerheblich (…). Es war vorliegend auch nicht der Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO zu erheben. Eine Rügepräklusion tritt im Hinblick auf § 238 Abs. 2 StPO nicht ein, wenn sich die Revision gegen das Unterlassen einer strafprozessual gebotenen Maßnahme wendet (…). Eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachrüge bedarf es damit nicht mehr” (vgl. insgesamt: Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht, Beschluss v. 27.04.2011, 1 Ss 69/11).
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht ist diesem beigetreten. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Flensburg zurückverwiesen.