Gemäß § 16 Abs. 1 Strafgestzbuch (StGB) muss der Täter den Vorsatz zur Tatbegehung im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung haben. Fasst er seinen Vorsatz – hier zur Tötung eines anderen Menschen – erst nachfolgend, ist dies zumindest für seine erste Handlung unbeachtlich. Die Strafbarkeit wegen eines vollendeten Tötungsdelikts setzt voraus, dass gerade die vom Vorsatz getragene Handlung den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt hat.
Die Feststellungen des Landgerichts
Eine beachtenswerte Entscheidung des 2. Senats des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 7.9.2017 − 2 StR 18/17 (LG Limburg)), mit welcher auf die Sachrüge des Angeklagten eine Entscheidung des Landgerichts Limburg aufgehoben wurde. Nach den Feststellungen des Landgerichts Limburg hatte sich Folgendes zugetragen:
„Der Angeklagte und der Geschädigte trafen sich in unregelmäßigen Abständen zum gemeinsamen Konsum von Alkohol. Im Rahmen einer solchen Zusammenkunft in der Nacht vom 24. auf den 25.3.2016 wollte sich der erheblich alkoholisierte, homosexuell veranlagte Geschädigte dem Angeklagten sexuell nähern und griff diesem in den Genitalbereich. Dies empfand der ebenfalls stark angetrunkene Angeklagte (Tatzeit-BAK mindestens 2,4 und höchstens 2,8 Promille) als massive Grenzverletzung, die ihn erzürnte und emotional stark aufwühlte. Aus diesem Grund schlug er dem Geschädigten auf die Lippe. Infolge des Schlages gegen den Kopf und der damit einhergehenden Erregung des Geschädigten stieg Speisebrei aus dem Magen auf. Da der Würgereflex des Geschädigten aufgrund der hohen Alkoholisierung ausblieb, kam es infolge des Schlages zu einer Aspiration des Speisebreis. Der Geschädigte fiel hin und begann zu röcheln. Wenige Minuten später regte er sich nicht mehr und verstarb infolge Erstickens. Der Angeklagte, der den Todeseintritt nicht erkannt hatte, zog dem Geschädigten nun die Hose herunter und durchtrennte mit einem Messer dessen Penis“ (BGH, Beschl. v. 7.9.2017 − 2 StR 18/17 (LG Limburg)).
Das Landgericht Limburg verurteilte den Angeklagten wegen Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB. „Es hat angenommen, der Schlag auf die Lippe und die Durchtrennung des Penis stellten sich als „einheitliches Geschehen“ dar, da beide Handlungen als Reaktion auf die Erregung über die sexuelle Annäherung zu verstehen seien und auf dem ‚einheitlichen Entschluss‘ des Angeklagten basierten, den Geschädigten körperlich zu züchtigen. Diese Wertung stützt es auf Spontanäußerungen des Angeklagten unmittelbar nach der Tat, wonach ‚das Ganze passiert‘ sei, weil der Geschädigte ihm ‚an die Eier‘ gegangen sei, woraufhin er ihn geschlagen und ihm ‚die Eier abgeschnitten‘ habe. Im Hinblick auf die Durchtrennung des Penis habe der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Dass der Tod des Geschädigten tatsächlich nicht infolge dieser Handlung, sondern durch den Schlag ausgelöst wurde, stelle ‚eine unwesentliche Abweichung des vorgestellten Kausalverlaufs vom tatsächlich eingetretenen‘ dar“ (BGH, Beschl. v. 7.9.2017 − 2 StR 18/17 (LG Limburg)).
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Diese rechtliche Wertung hat nach Auffassung des 2. Senats keinen Bestand:
„Gemäß § 16 Absatz 1 StGB muss der Tatvorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Ein der Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos (…). Daher tritt eine Strafbarkeit wegen vollendeter Vorsatztat nur ein, wenn die vom Vorsatz getragene Handlung den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt hat (…). Gegen diesen Grundsatz verstößt das LG, indem es die nach seiner Würdigung mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommene (postmortale) Penisamputation und den für den Tod ursächlichen Schlag auf die Lippe des Geschädigten miteinander verknüpft.
Eine solche Verknüpfung wird auch nicht durch eine Gesamtbetrachtung des Geschehensablaufs zulässig (…). Die vom Landgericht angenommene Abweichung des vorgestellten vom tatsächlich eingetretenen Kausalverlauf setzt voraus, dass der Täter vor seiner zum Erfolg führenden Handlung – hier dem Faustschlag auf die Lippe – bereits zur Tötung des Geschädigten entschlossen war; an entsprechenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der Wirkungen des Schlages fehlt es hier jedoch gerade.
Die Annahme des Landgerichts, nach der Vorstellung des Angeklagten habe ein einheitliches, von vornherein auf eine mit bedingtem Tötungsvorsatz durchgeführte „Brandmarkung“ des Geschädigten gerichtetes Tatgeschehen vorgelegen, bei dem der objektiv todesursächliche Faustschlag ohne wesentliche Zwischenschritte in die Amputation des Penis einmünden sollte, ist nicht tragfähig begründet. Für die Frage, ob der Angeklagte schon im Zeitpunkt des Schlages zu der späteren Amputation entschlossen war, kommt – anders als vom Landgericht angenommen – den Spontanäußerungen des Angeklagten keine nennenswerte Beweisbedeutung zu. Ein solcher Schluss liegt auch im Hinblick auf das objektive Tatgeschehen keineswegs auf der Hand. Denn danach lag zwischen dem Faustschlag und der Amputationshandlung eine Zeitspanne von zumindest „wenigen Minuten“, in welcher der Geschädigte liegend erstickte, ohne dass währenddessen weitere Tathandlungen des Angeklagten festgestellt sind. Mit dieser Lücke im Geschehensablauf, die die Annahme eines von Beginn an auf die Amputation gerichteten Vorsatzes in Frage stellen konnte, setzt das Landgericht sich nicht auseinander“ (BGH, Beschl. v. 7.9.2017 − 2 StR 18/17 (LG Limburg)).
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Limburg aufgehoben und an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.