Der Bundesgerichtshof hat sich (wieder einmal) zu den Voraussetzungen geäußert, die an die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes i.S.d. § 212 StGB zu stellen sind.
Das Landgericht Aachen verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gem. § 224 Absatz I Nr. 2 und 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren. Der Nebenkläger verfolgte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision dessen Verurteilung wegen versuchten Totschlags. Die Revision des Nebenklägers hatte Erfolg (BGH, Urteil vom 15. 12. 2010 – 2 StR 531/10 (LG Aachen)).
Das Landgericht Aachen hatte folgende Feststellungen getroffen:
„Der Angek., ein trainierter Kampfsportler, handelte zusammen mit Landsleuten in den Jahren 2005/2006 im Raum A. mit Rauschgift im Kilobereich. Auf Grund von Revierstreitigkeiten war es im Sommer 2005 zu einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe um die kosovarischen Brüder A gekommen. Dabei wurde der Angekl. von S und L A zusammengeschlagen und fühlte sich fortan gedemütigt und in seiner Ehre verletzt, weshalb er auf Rache sann.
Am 12. 3. 2009 gegen 23.30 Uhr hielt sich der Angekl. mit Freunden vor dem Eingang eines Kinos in A. auf. Dort traf er auf die 3 Brüder S, B und D A, die zufällig das gleiche Kino besuchen wollten. Sofort stürzte er sich auf S A und schlug diesem nach kurzem Wortwechsel ins Gesicht. Während sich die übrigen Anwesenden einige Meter abseits hielten, traten B und D ihrem Bruder zur Seite und es entwickelte sich zunächst eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beschimpfungen sowie ein Gerangel. Zu diesem Zeitpunkt hätte sich der Angekl. durch Weggehen oder Weglaufen der von ihm provozierten Gefahrensituation entziehen können, er wollte jedoch der bevorstehenden Auseinandersetzung nicht aus dem Wege gehen. Während S A ein Messer und D A einen Gürtel oder eine zum Schlagen geeignete Kette in Händen hielten, war der Angekl. mit einer 40–70 cm langen Machete bewaffnet. Zu Gunsten des Angekl. geht das LG davon aus, dieser habe die Machete nicht mitgeführt, sondern während des vorangegangenen Gerangels B A entwendet. Nun schlug der Angekl. in Kenntnis der Gefährlichkeit der Waffe wuchtig – mit Verletzungs- aber ohne Tötungsabsicht – auf seine sich jetzt passiv verhaltenden Kontrahenten ein. Dabei traf er D A an der Hand und am Kopf. Die scharfe Klinge der Machete drang in die Kopfhaut ein, verursachte eine 9 cm lange Fleischwunde, schälte ein Stück des knöchernen Schädeldachs ab und trennte einen Teil der Kopfschwarte vom Schädel (so genannte Skalpierungs-Verletzung). Während der Angekl. fluchtartig den Tatort verließ, begann der Gesch. sofort stark zu bluten. Nach notärztlicher Erstversorgung wurde er stationär behandelt. Ohne rechtzeitige Hilfe wäre er möglicherweise verblutet, bei einem nur geringfügig veränderten Auftreffwinkel der Machete wäre die Schädeldecke vollständig durchdrungen und lebenswichtige Gehirnfunktionen wären beeinträchtigt worden. So aber sind Hand- und Kopfverletzungen verheilt, zurückgeblieben ist eine starke Narbenbildung am oberen Kopf, wo keine Haare mehr wachsen, sowie psychische Beeinträchtigungen wie starke Angstgefühle.
Zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angekl. hat das LG nicht festzustellen vermocht. Weil das Töten eines Menschen die Überwindung einer hohen Hemmschwelle erfordere, könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angekl. nicht von lebensgefährlichen Verletzungen ausgegangen sei und den Tod seines Kontrahenten nicht billigend in Kauf genommen habe, zumal es sich um ein dynamisches Geschehen gehandelt habe und er zufällig in den Besitz der Machete gelangt war“ (BGH, Urteil vom 15. 12. 2010 – 2 StR 531/10 (LG Aachen)).
Diese Erwägungen halten nach Ansicht des BGH revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand:
„Zunächst ist es für die Frage bedingten Vorsatzes ohne Aussagekraft, auf welche Weise der Angekl., der die Auseinandersetzung bewusst herbeigeführt hat, in den Besitz der Machete gelangt ist. Entscheidend ist vielmehr sein Vorstellungsbild, als er seinen Kontrahenten bewaffnet mit einem Schlagwerkzeug, das – wie er wusste – geeignet war, schwerste Verletzungen zu verursachen, angriff.
Soweit das Schwurgericht auf die erhöhte Hemmschwelle bei Tötungsdelikten verweist, genügt hier der bloße Hinweis für sich allein nicht für eine Verneinung zumindest bedingten Tötungsvorsatzes. Vielmehr ist stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, ob ein Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzung rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt. Dies wird bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegen, wenn – wie hier – das Ausbleiben des Todeserfolgs nur als glücklicher Zufall erscheinen kann (…). Erforderlich ist stets eine umfassende Würdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände, nämlich der konkreten Tatsituation und Angriffsweise, Lage und Abwehrmöglichkeit des Opfers, der psychischen Verfassung des Täters und seiner Motivation (…).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. So fehlen bereits Ausführungen zum Vorstellungsbild des geständigen, das Tatgeschehen aber nicht bereuenden Angekl. bei Beginn seines Angriffs. Das LG stellt lediglich darauf ab, dass es sich um ein dynamisches, von dem Angekl. nicht mehr kontrollierbares Geschehen gehandelt habe. Dies spricht hier jedoch nicht gegen sondern vielmehr für einen bedingten Tötungsvorsatz. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso der Angekl. bei unkontrollierten, mit voller Wucht gegen den Kopf seines Opfers geführten Schlägen, von denen jeder bei geringfügig anderem Auftreffwinkel tödlich gewesen wäre, ernsthaft auf das Ausbleiben eines entsprechenden Erfolgs vertraut haben sollte.
Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung bedingten Vorsatzes auch die dem Angriff zu Grunde liegende Motivlage des Angekl. einzubeziehen haben. So könnte dem in seiner Ehre gekränkten, aus Wut- und Rachsucht die Auseinandersetzung um jeden Preis suchenden Angekl. die in der konkreten Situation als möglich erkannte Tötung seines Opfers zumindest gleichgültig gewesen sein. Dass ihm dessen Tod möglicherweise unerwünscht war, steht der Annahme bedingten Vorsatzes nicht entgegen (…)“ (BGH, Urteil vom 15. 12. 2010 – 2 StR 531/10 (LG Aachen)).